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38. Neun neue Neuigkeiten

Nachdem ich jetzt ja schon wirklich eine ganze Zeit hier in dieser mich sehr ansprechenden Stadt verbracht habe, könnte man meinen, es gäbe ja nicht mehr viel Neues zu entdecken. Doch wer das glaubt, der irrt. Ohne nachzudenken fallen mir wirklich spontan neun Dinge ein, die ich in dieser einen letzten Woche zum ersten Mal gemacht oder erlebt habe.

 

Da war zum Beispiel am Mittwochabend das „théâtre-forum“, eine Art interaktives thematisches problemlösungsorientiertes Improtheater für Jung und Alt. Konkret heißt das, dass wir zuerst in Kleingruppen diskutierten und dann kurze Situationen vorgespielt haben, in denen wir uns entweder diskriminiert gefühlt oder selbst jemanden diskriminiert hatten oder Zeuge von Dirkrimination gewesen waren. Dann konnte eine Person aus einer anderen Gruppe eine Person aus der inszenierenden Gruppe ersetzen und so selbst einen neuen Lösungsweg ausprobieren, um die Situation anders ausgehen zu lassen. Klingt kompliziert,

ist es aber nicht. Es war echt interessant, inspirierend und so real, dass einem das Lachen in der Kehle stecken blieb.

 

Sofort darauf fragten mich drei teilnehmende Mädls, ob ich nicht mit ihnen mitkommen wolle zu einem Anfänger-Salsa-Tanzkurs. Natürlich war ich sofort dabei und so fand ich mich eine halbe Stunde später in einer düsteren Bar mit kubanischem Flair und Sand am Boden taktzählend und schrittemerkend wieder. Einfach gratis und für alle, bissl Bewegung und social meeting point, cool!

 

„Bienvenu à tous et à toutes pour la deuxième Simulation de Conférence internationale des droits de l’homme ! Aujourd’hui, les acteurs, c’est vous ! Pendant cette journée, vous allez réfléchir, discuter et présenter vos idées ! Bonne chance ! » Du verstehst nur Bahnhof? Ich anfangs auch. Dann wurde mir aber bald klar, dass ich – als Mitarbeiterin des CRIJ – im Rahmen der Simulation einer Menschenrechts-Konferenz der UNESCO eine Diskussionsgruppe zum Thema « Inklusion von Minderheiten in der Bildung » moderieren würde. Ähm, ja! Am besagten Tag leitete ich sodann eine Diskussion über Bildungschancen von Minderheiten weltweit und im Besonderen am Beispiel der Roma in Frankreich an, zu der alle Teilnehmer in die Rolle von jeweils Industriestaaten, Entwicklungsländer, NGOs, Unternehmen oder Vertreter der Kinder schlüpften. Interessanter als die Diskussion selbst, in der es für mich als Moderatorin darum ging, nichtssagende und meinungslose Gymnasiasten dazu zu bringen, ihre fiktiven Kooperationspartner von ihrer Marktidee zu überzeugen, reiche Industriestaaten um Hilfe zu bitten, Lösungsvorschläge zu präsentieren,

die andere Meinung kritisch zu bewerten, und am Ende zu verstehen, dass alles nicht „so einfach“ ist. Dieser Tag hat mich wirklich sehr angesprochen, und mich selbst bestärkt, da ich von mehreren Seiten wirklich gelobt wurde, und auch selbst der Meinung war, meinen Moderatorenjob sehr gut gemeistert zu haben.

 

Diesen konzentrationsfordernden Tag beendete ich gemeinsam mit vielen anderen jungen und alten Menschen in der Kirche Saint Pierre, bei einem nächtlichen Taizé-Gebet, welches ich mit drei anderen Taizé-Fans organisiert hatte. Wir freuten uns wirklich sehr über die hohe Anzahl an Teilnehmern, unter denen sich einige musikalische Talente fanden. Und auch mich, die ich die deutschen Lieder mir Mikrofon vorzusingen hatte, sprachen nachher mehrere Leute auf meine Gesangskünste an. Freut mich wirklich, wo das für mich ja nicht seit Kindertagen offensichtlich war.

 

Denke nie, gedacht zu haben, denn im Denken der Gedanken kommt man leicht auf den Gedanken, dass das Denken der Gedanken ein gedankenloses Denken ist. --- Irgendjemand hat diesen tollen Satz offenbar mal gebastelt, und danke Katrin, dass du ihn mir so mühevoll eingeprägt hast in langen Schulstunden – jedenfalls erinnerte ich mich grad an ihn, weil ich

nämlich dachte (!), dass ins Hallenbad schwimmen gehen in Österreich und Frankreich ja wohl das gleiche sein würde. Aber ich wurde des Besseren belehrt: Ohne Badekappe und zuvoriger Dusche mit einer ordentlichen Portion Desinfektionsduschgel geht hier gar nix. Okay, akzeptiert. Einen Schönheitswettbewerb gewinn ich aber echt nicht mit dieser wunderbar eleganten Kopfbedeckung.

 

Ich weiß, dass ich situationsbedingt entweder in Deutsch, Englisch oder Französisch denke. Gestern aber wachte ich auf und hatte zum ersten Mal mehrere richtig konstruktive französische Sätze im Kopf. Ob es wirklich das erste Mal war, dass ich französisch geträumt hatte, wage ich zu bezweifeln, aber es wurde mir gestern so abrupt bewusst wie nie zuvor. Na bitte, c’est chouette, ça! ;-)

 

Samstagabend, 22:19. „Willst du morgen bei der Essensausgabe an obdachlose Menschen helfen?“ – Gestern Sonntag um 9 Uhr morgens fand ich mich also mit einer Bekannten in einem Pfarrsaal wieder, in dem schon fleißig Baguettes geschnitten, belegt und - gemeinsam mit Keksen und Hygieneartikeln – verpackt wurden. Nachdem wir alles fertig vorbereitet hatte und wir gemeinsam in die Messe gegangen waren, machten wir uns in drei Gruppen zu etwa sieben Personen auf den Weg in die Innenstadt, den Bahnhof und den Hafen. Dort verteilten wir die Brote, Hygieneartikel, Hauben, Schals und Handschuhe an die Obdachlosen, fragten sie, wie es ihnen gehe und was sie dringend brauchten. Mit so manchen, die den anderen schon bekannt waren, verbrachten wir mehr Zeit, sangen Lieder, kauften ihnen einen Kaffee und ließen sie ein bissl erzählen. Es war auch interessant, die Passanten zu beobachten, die mit sich wundernden Blicken, meist aber auch einem Lächeln im Gesicht, an uns „Verrückten“ vorbeigingen. Was mich aber am meisten schockierte ist die hohe Anzahl der obdachlosen Menschen in dieser Stadt, die mir nie aufgefallen wären. Einige kenne ich inzwischen zwar auch schon vom Sehen, doch enorm viele andere müssen sich irgendwo im mir Verborgenen aufhalten. Hm, ja, interessant, auch mal mit dieser

Seite der Stadt konfrontiert zu werden.

 

Gestern beim Café Polyglotte hab ich meine ersten vier Sätze auf Bosnisch gelernt. Und mal kurz geschluckt, als mir Azra, meine bosnische EFD-Freundin, so ganz normal erklärte, dass sie im Krieg aufgewachsen sei…

 

Zu guter Letzt habe ich soeben meinen ersten richtig langen Roman in französischer Sprache, „Shantaram“, zu lesen begonnen. Mal schauen, wie lang ich für die 872 Seiten brauch ;-)

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