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Lithuanians are coconuts!

Muss ich mich entscheiden, wovon dieser Blogbeitrag handeln soll, bevor ich ihn schreibe? Heißt’s nicht eigentlich, es macht beim Schreiben Sinn, im Vorhinein einen Plan zu haben, den roten Faden zu entwickeln? Tja, in Bezug auf die letzte Woche – und ja, meine Abreise ist wirklich schon und erst eine Woche her – fällt es mir grad sehr schwer, mich auf ein Thema zu beschränken. Es ist einfach schon wieder so viel passiert!

 

Die ersten paar Tage hab ich großteils damit verbracht, die Stadt zu erkunden. Mein Buddy, also eine litauische Studentin, die sich um einige Austauschstudierende kümmert, hat mit uns eine kleine Stadtführung gemacht, ich hab an einer Free Walking Tour teilgenommen, bin alleine und mit anderen Leuten durch die Stadt geradelt und spaziert. Inzwischen kenne ich ein paar Straßennamen und ich traue mir zu, dass ich ohne Karte oder Nachfragen zu den wichtigsten Punkten in der Stadt und vor allem immer wieder zurück zur Wohnung finden würde. Das ist ja schon mal ein guter Anfang!

 

Am Donnerstag fand eine riesige Willkommens- und Informationsveranstaltung statt, die von der Uni organisiert wurde und an der alle schon angekommenen Erasmusstudierenden teilnahmen. Den ganzen Tag lang hörten wir verschiedenste Vorträge, bekamen Infos über die Uni, die Studierendenausweise, die Aufenthaltsgenehmigungen, die Notfallnummer in Litauen, die Studierendenvertretung, die Wohnheime, die Geschichte Litauens, das Erasmus Student Network – also echt ziemlich viel! Und ein Vortrag war auch über die Leute und die Kultur in Litauen. Uns wurde stark eingeprägt, dass LitauerInnen Kokosnüsse seien. Das bedeutet, dass sie außen eine harte Schale haben, aber wenn man sich mal bissl besser kennenlernt und diese Schale durchbricht, dann sind sie sehr warmherzige, hilfsbereite und freundliche Menschen. Kennt man eine Person nicht, so soll man sie keinesfalls anlächeln, da dies zu ziemlicher Verwirrung führen kann (die Person wundert sich dann, woher man sich denn kennt). Von Passanten auf der Straße und auch von der Verkäuferin im Geschäft bin ich wirklich noch nie angelächelt worden. Als ich die nicht lächelnde Verkäuferin im Geschäft erlebt habe, musste ich an folgendes Zitat denken: „Many actions are transactional, not interactional“. Aber – Ausnahmen bestätigen die Regel – heut hab ich z.B. meine mir noch fremde Nachbarin getroffen und freundlich gelächelt und sie hat mich auch lieb angelächelt und mir gleich die Tür aufgehalten. Also: nicht abschrecken lassen und aufgeben! ;-)

 

A propos Nachbarin: Wo wohne ich eigentlich? Für das erste Monat meines 10-monatigen Aufenthaltes in Vilnius hab ich ein Zimmer über Airbnb gebucht. In der Wohnung habe ich ein eigenes Zimmer, Küche und Badezimmer benutze ich gemeinsam mit meiner Gastfamilie: Meine Gastmutter Grita und mein Gastbruder Jonas. Ich freue mich, dass ich ein Zimmer bei „echten locals“ gefunden hab, weil sie mir schon sehr viel über Vilnius und das litauische Leben in der Gegenwart und der Geschichte erzählen konnten. Grita arbeitet als Buchhalterin in einer Firma, kümmert sich um die Wohnung, ihre Familie und ihre Katzen. Letztere sind nicht normale Haustiere, nein, Grita züchtet Katzen. In jedem Zimmer leben also unterschiedliche Katzen, die sich nicht treffen dürfen. Für jede Katze hat Grita einen genauen Stammbaum, sie weiß, welche Katze wann wie viel frisst und welche Charakterzüge jede einzelne aufweist. Wenn die Katzen alt genug sind, werden sie an Menschen in ganz Europa verkauft. Einige Katzen haben in Vilnius neue BesitzerInnen gefunden, andere werden schon mal nach Venedig geflogen oder zu Katzenzüchtern nach Frankreich gebracht. Für mich ist die Katzenwelt noch ziemlich neu, und ich lerne täglich wieder was dazu!

 

Um zurück zu meinem Thema mit den Kokosnüssen zu kommen: Grita und Jonas sind definitiv keine besagt typischen Kokosnüsse. Zumindest zu mir als Gast waren sie von Anfang an super lieb, zuvorkommend und aufgeschlossen. Vielleicht liegt es daran, dass Grita selbst schon viel unterwegs war, jetzt einen deutschen Mann hat und interessiert an anderen Kulturen ist. Grita redet sehr gern mit mir am Küchentisch, erzählt mir von ihren Erfahrungen aus der Sowjetzeit, von ihren jetzigen Sorgen und Freuden und von ihren Erlebnissen als Gastgeberin. Und Jonas hat mir sofort, als wir uns das erste Mal getroffen haben, angeboten, mir die Radwege hier in Vilnius zu zeigen. Wuhuuuu das war echt ein tolles Angebot! Wir sind drei Stunden lang durch die ganze Stadt gedüst und haben die Radwege erkundet. Tollerweise stand im Keller nämlich ein unbenutztes Fahrrad, mit dem ich fahren darf, solang ich hier wohne. Jonas meinte, dass die Radwege alle erst in den letzten Jahren gebaut wurden und dass die Radinfrastruktur derzeit ein großes stadtpolitisches Thema sei. Und wirklich: Es gibt sehr viele Radwege entlang des Flusses und entlang der Straßen, manchmal Schutzstreifen und fast überall dürfen Radfahrende gegen die Einbahn fahren. Ich bin gespannt, wie lange ich mit dem Radl fahren werde, ob ich im Winter dann doch auf die Öffis umsteige oder ob der litauische Winter gar nicht so schlimm wird wie manchmal märchen- oder grauenhaft beschrieben?

Jonas zeigt mir die Radwege in Vilnius
Jonas zeigt mir die Radwege in Vilnius