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World Cleanup Day

Ich habe eine große Forderung an mich selbst gestellt und die Herausforderung angenommen: während meiner Zeit in Vilnius nicht nur internationale Erasmus-Studierende, sondern auch Litauer und Litauerinnen kennenzulernen. Ständig wird in meinem Umkreis von dieser berühmt-berüchtigten Erasmus-Bubble gesprochen, aus der man als Erasmus-Student scheinbar kaum ausbrechen kann. Ich kann die Schwierigkeit nachvollziehen und sie betrifft mich teilweise auch selbst.

 

Die ersten Tage in Vilnius waren vollgestopft mit tollen Events, die ESN (Erasmus Student Network) organisierte und es ist ein Kinderspiel, dort andere Ausstauschstudierende kennenzulernen. Klar, wir stecken alle in der gleichen Situation, sind neu hier, noch etwas verloren und vielleicht auch etwas einsam. Kaum hat man bei einer Veranstaltung drei Minuten miteinander geredet und ein oooooh und aaaah über das Herkunftsland und den Studiengang des Gesprächspartners verlauten lassen, werden schon die Facebooknamen und Telefonnummern ausgetauscht. Zack, und der Aufenthalt wurde – manchmal mehr, manchmal weniger – in eine bestimmte Richtung gelenkt. Ob Zufall, Schicksal, Intuition, oder Absicht dahinterstecken ist irrelevant. Das Kontakte-Netzwerk wird weiter gesponnen und nicht selten trifft man sich in anderem Kontext mit den frisch kennengelernten Menschen plötzlich wieder. Willkommen in der Erasmus-Blase!

 

Es gehören eine ordentliche Portion Entschlossenheit, eine Packung Auf-fremde-Menschen-zugehen, ein Glas Verrücktheit, ein Teelöffel Mut, ein Suppenwürfel Freude-am-um-die-Ecke-denken und eine Prise gelenktes Glück dazu, nicht vollständig in diese Blase einzutauchen. Ich habe das Rezept ausprobiert und bisher klappt es schon recht gut, obwohl noch viel dran gearbeitet werden kann. Die Entscheidung, in einer litauischen Gastfamilie zu leben, war schon mal ein erster großer Schritt in diese Richtung. Ein weiterer Schritt war und ist meine Suche nach einer Hochschulgruppe oder einem Verein, in der/dem ich das ganze Jahr über aktiv sein kann. Da die meisten Erasmusstudierenden nach einem Semester nach Hause fahren, ist es mir wichtig, auch im zweiten Semester noch Freunde hier zu haben.

 

Bei der Semester-Start-Feier an der Uni fand ich zwei Mädls mit bunten T-Shirts auf denen World Cleanup Day 2018 stand. Flugs sprach ich sie an und sie erklärten mir, dass sie zwar keine Hochschulgruppe seien, ich aber sehr gerne beim World Cleanup Day mitmachen könne. Gesagt, getan: Frühmorgens schwang ich mich am World Cleanup Day auf mein Fahrrad und fuhr zum Treffpunkt in einem der beiden an Vilnius angrenzenden Regionalparks. Alle Teilnehmenden – ich zählte etwa 50 Menschen – wurden mit Handschuhen und Müllsäcken ausgestattet und in kleine Gruppen aufgeteilt. Auf Grund meiner nicht vorhandenen Litauischkenntnisse (die sich allerdings täglich minimal erweitern) begab ich mich zur englischsprachigen Gruppe. Eine Litauerin übersetzte für uns die wichtigsten Infos und schon ging’s los. Wir suchten die uns zugeteilte Stelle im Wald und fingen an, unsere Müllsäcke zu füllen. Und das ging ziemlich schnell: Zerrissene Plastikfolien, zerbrochene Autoscheiben, einen Haufen voll feuchter Kleidung, Glasscherben, Chipssackerl, Zigarettenpackungen, Autoreifen, ein Kübel aus Alu, Styroporbrocken, ein zerbrochenes Sofa und jede Menge Glasflaschen zählten bald zu unseren „Schätzen“. Während unserer Schatzsuche quatschten wir fleißig vor uns hin, erzählten Geschichten über uns und unsere Heimatländer, über den Umgang mit Müll, über den Stellenwert der Natur in den Köpfen der Menschen und über Projekte zum Umweltschutz.

 

Meine Erzählungen von unserem Action Leader Project „(Un)touched Nature“ imponierten ziemlich und bald wollten meine Kollegen mehr über Generation Earth und unsere Müllsammelaktion im Wienerwald wissen. Damals hatten wir nämlich versucht, den Müll im Wienerwald nicht nur einmalig wegzuräumen, sondern auch beizutragen, dass längerfristig weniger Müll liegengelassen wird. Ein schwieriges Unterfangen, doch wir haben unser kleines Zeichen gesetzt. Gemeinsam mit 12 jungen, seit langem oder kurzem in Österreich lebenden Menschen sind wir zwei Tage durch den Wienerwald gewandert, haben Müll gesammelt, mit den zum Picknick versammelten Leuten gesprochen, gruppendynamische Aktivitäten gemacht, gemeinsam gekocht, gegessen und gecampt und das Bewusstsein für Umweltschutz in unserer Gruppe geschärft.

 

Doch zurück zum World Cleanup Day in Vilnius. Einerseits war der Tag für mich eine Möglichkeit, raus zu kommen und hier, in dem Land, in dem ich fast ein Jahr lang leben werde, einen kleinen Beitrag zu einer sauberen Umwelt zu leisten. Andererseits öffnete mir die Teilnahme auch eine Tür zu aktiven Menschen, die mir zukünftig wieder Kontakte vermitteln und von interessanten Veranstaltungen erzählen können. So versuche ich, mein eigenes Netzwerk, außerhalb der Erasmus-Blase, zu spinnen. Und es wird täglich größer!