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Boat trip mit dem Hiking Club

Schon als ich mich im letzten Jahr über die verschiedenen Partnerunis meiner Uni in Passau informierte, erregte etwas meine Aufmerksamkeit: am unteren Ende der Infoseite zum Sportzentrum der Universität Vilnius stand in bunten Buchstaben „Vilnius University Hiking Club“. Der link führte dann auf eine alte, seit langem nicht mehr aktualisierte homepage, die allerdings viele ansprechende Fotos und Geschichten präsentierte. Ach, wär das toll, wenn’s diesen Hiking Club noch gäbe, dachte ich mir und zweifelte doch etwas daran. In den Erfahrungsberichten der Studierenden, die in Vilnius waren, fand ich keinerlei Hinweise auf den Hiking Club. Und auch Katja, meine weißrussische Freundin, die in Vilnius studiert und in Passau ihr Erasmussemester gemacht hat, wusste nichts von diesem Club. Schade.

 

Ich ließ mich trotzdem nicht abschrecken von den nicht vorhandenen Infos und packte fleißig allerhand nützliches Outdoorzeug ein: Rucksack, Wanderschuhe, Schlafsack, Isomatte, Picknickdecke, Regenjacke, Sitzmatterl, Regenschutz für den Rucksack, Taschenmesser, Regenhose. Gut ausgestattet kam ich also an hier in Vilnius – und wusste immer noch nicht, ob es den Hiking Club nun wirklich gäbe oder nicht. Sofort nach meiner Ankunft startete ich also meine Investigation. Ob Buddies, Ausstauschstudierende, Helfer bei der Eröffnungsveranstaltung – ich fragte alle durch. Einige meinten, schon davon gehört zu haben und dann bekam ich endlich von jemandem den link zur Facebook-Gruppe des Hiking Clubs. Da der Name litauisch ist, hatte ich die Gruppe von zu Hause aus nicht finden können. Und tadaaa da war auch schon die erste Tour ausgeschrieben, sogar mit englischer Übersetzung: der zweitägige Bootsausflug. Ich freute mich riesig. Und meldete mich augenblicklich an.

 

Da der Bootsausflug zwei Tage dauerte und wir auf einem Campingplatz übernachteten, musste nun auch noch ein Zelt her. Doch ich hatte ja noch bissl Zeit bis Ende September. Ich wurde nicht müde, vom Hiking Club zu erzählen und siehe da, da hatte ich auch schon einen litauischen Buddy, Jokubas, kennengelernt, der noch Platz in seinem Zelt hatte. Wuhuiii schon war auch dieses Problem gelöst. Und dann, kurz vor dem Ausflug, fand ich im Supermarkt ein einfaches Zelt um 6€. Ganz traute ich diesem labilen Kinderzelt zwar nicht, aber um das Geld kaufte ich es dann trotzdem. Besser als nichts, dachte ich mir. Und als sich dann auch noch Patricija anschloss und auch Jokubas noch ein paar andere Austauschstudierende eingeladen hatte, waren wir um dieses Zelt wirklich froh.

 

Frühmorgens trudelten wir am Bahnhof ein. Hach, was für ein wunderbares Gefühl! So viele junge Leute mit vollgestopften Wanderrucksäcken, Regenjacken und fröhlichen Gesichtern drängelten sich in der Bahnhofshalle. In Windeseile waren alle in lustige Gespräche verwickelt. Und die Verkäuferinnen am Fahrkartenschalter schmunzelten nicht wenig, als wir alle der Reihe nach ein Ticket nach Ignalina wollten. Ja, Ignalina, richtig gelesen! Zum ersten, zum zweiten uuuund zum dritten Mal!

 

Möglichst weit weg und mir den Rücken zugewandt setzte sich ein junger Mann, den sein Rucksack eindeutig verriet, auf die Bank neben mich im Zug. Er fühlte sich sichtlich unwohl da. Wenige Augenblicke, nachdem sich der Zug in Bewegung gesetzt hatte, setzte er seine Kopfhörer auf und starrte vor sich hin. Welch stereotypische, schüchterne, litauische Kokosnuss! Patricija schlief mir gegenüber ein. Mist, so hatte ich mir die Zugfahrt nach Ignalina aber nicht vorgestellt! Ich war doch voller Erwartungen und Motivation und wollte aktive, lebensfrohe, engagierte Leute kennenlernen. Und jetzt saß ich in stiller Runde auf meiner Sitzbank. Hinter mir wurde fleißig geplaudert und irgendwann packte jemand eine Gitarre aus und ein paar Leute fingen an zu singen. Ach, hätten wir uns doch wo anders hingesetzt!

 

Dann muss ich mein Schicksal wohl selbst in die Hand nehmen. Dachte ich, und schon ward’s geschehen. Essen teilen wirkt eben Wunder! Verstohlen warf mein Sitznachbar einen Blick auf die Nüsse, die ich ihm unter die Nase hielt. Doch zugreifen traute er sich nicht. Also schnappte ich mir selbst eine Nuss und lächelte ihn freundlich mampfend an. Jetzt nahm er seine Kopfhörer ab. Und als ich ihn erneut aufforderte, doch bitte zuzugreifen, fing er genüsslich an zu essen – und zu plaudern. So verging die eineinhalbstündige Zugfahrt dann doch schneller als im ersten Augenblick gedacht. Und Dominikas wich uns in den nächsten zwei Tagen auch nicht mehr von der Seite.

 

Es regnete in Strömen, als wir in Ignalina aus dem Zug stiegen. Schnellstmöglich war die ganze Gruppe unter das Vordach gerannt, Regenhosen und Ponchos wurden ausgepackt, Rucksäcke in die Schutzhüllen eingepackt. Sofort zeigte sich, wer wie gut ausgerüstet war. Die Palette reichte von erprobten Wanderern in perfekter Ausrüstung bis hin zu Erasmusstudenten mit Turnschuhen und Regenschirm. Bis zur Bootsanlegestelle am See gingen wir etwa eine Stunde. Es regnete und regnete und irgendwie hatte ich das komische Gefühl, dass meine Schultern nass wurden. Aber wieso, ich hatte doch eine Regenjacke an!? Das Desaster wurde mir bewusst, als ich die kalte Jacke beim See auszog: Ich war völlig durchnässt. An der Regenjacke liefen innen Tropfen runter und meine Weste und das Leiberl waren klatschnass. Na toll. Inzwischen hatte der Regen zwar aufgehört, aber von Sonne war weit und breit keine Spur und der Wind fegte ordentlich durch die Bäume. Damit hatte ich nicht gerechnet. Und lustig fand ich die Situation schon gar nicht. Ein trockenes T-Shirt hatte ich noch im Rucksack. Und mein Schal war auch noch halbwegs trocken. Also zog ich alles Nasse aus, das T-Shirt an, wickelte mich fest in meinen Schal ein und fing an zu springen und zu laufen. Dann versuchte ich, die Jacke und die Weste irgendwie zu trocknen. Doch wie – ohne Sonne, mit kalter, feuchter Luft nach dem Regen? Ich schüttelte, pustete und rubbelte, aber Erfolg hatte ich keinen. Patricija und Dominikas kamen mir zur Hilfe, doch auch gemeinsam hatten wir keine Chance. Ich sah nur eine Möglichkeit: Die nassen Sachen wieder anziehen und beim Bewegen mit der eigenen Körperwärme trocknen.

 

Als wir am Seeufer auf unser Boot warteten, gesellte sich noch jemand zu uns: Vytautas wurde der Vierte in unserem Team. Super, jetzt waren wir startklar! Wir hievten unsere Rucksäcke aufs Ruderboot, packten alles möglichst wasserdicht ein und legten ab. Oh je! Ganz erfolgreich schien unsere Crew nicht! Dominikas und Vytautas hatten sich als erste fürs Rudern bereiterklärt, und bald war unser Boot das allerletzte am See. Die Ruderbewegung leuchtete Dominikas einfach nicht ein. Manchmal zog er fest in der Luft zurück und fiel fast hinten über, dann bremste er akut das Boot mit den Paddeln im Wasser. Er verzog sein Gesicht und war sichtlich extrem konzentriert. Vytautas gab den Takt an, doch Dominikas konnte nicht folgen. Schonend versuchte ich, ihm die Bewegung zu erklären. Es half wenig. Traurig meinte er: „I suck at that.“ – „That’s true. But you will get better!“, wagte ich eine Antwort. Beide waren verdutzt. Mit so einer direkten Wahrheit hatten litauische Ohren nicht gerechnet. Doch das Eis war gebrochen. Dominikas lachte über sich selbst und war fest entschlossen, das Rudern jetzt zu lernen. Als ich mich ihm dann gegenübersetzte und verkehrt herum gemeinsam mit ihm ruderte, wurde es schon besser. Und nachdem wir ihm alle gut zugeredet hatten und jede richtige Bewegung lobten, löste sich der Knoten. Sichtlich zufrieden ruderte er vor sich hin - und wollte gar nicht mehr aufhören damit!

 

Den ganzen Nachmittag verbrachten wir am Wasser in unserem kleinen Boot. Zwei Mal legte die ganze Gruppe eine Pause ein. Beim ersten Stopp besuchten wir eine alte Eiche auf einem Hügel. Eichen spielen in Litauen eine ganz besondere Rolle, sie werden geachtet und geehrt. Also hörten wir unserem Guide, einem alten Herrn, der schon seit der Gründung des Hiking Clubs vor 60 Jahren kontinuierlich mitwandert, zu, was er über diesen wunderbaren Baum erzählte. Danach packte jemand eine Flöte aus und wir tanzten litauische Volkstänze mit grandiosem Blick über die weitläufigen Seen rund um den Hügel. Beim zweiten Stopp sollte es nicht minder lustig zugehen, es gab Großgruppenspiele. Nachdem wir ein paar litauische Spiele kennengelernt hatten, waren die Erasmusstudierenden gefragt. Doch die sonst so fröhlichen Spanier schauten plötzlich schüchtern auf ihre Füße, die Italiener hatten keine Idee und auch aus Slowenien melde sich niemand zu Wort. Wohl war ich die einzige Österreicherin in der Gruppe, doch meinte ich, dass ich eine lustige Aktion hätte. Und so freuten sich bald alle, gemeinsam mit mir das berühmt-berüchtigte „Once an Austrian went yodelling“ zu performen. Tja, so schnell geht’s, und Monika from Austria ist wieder allen bekannt.

 

Emsiges Treiben herrschte am Campingplatz, der kaum mehr als ein Stück Wald mit ein paar Holztischen und einem Plumpsklo war. Zelte wurden aufgebaut, Isomatten aufgeblasen, Lagerfeuer entfacht. Viele Leute hatten nasse Füße vom Regen oder Wasser und freuten sich sehr, diese endlich am Feuer zu trocknen. Mein Gewand war übrigens beim Rudern wirklich trocken geworden! Lange dauerte es auch nicht, bis alle die Jause auspackten. Welch herrliches Festmahl nach einem Tag am Boot! Und später wurde dann sogar noch frisch gekochte Gemüsesuppe aufgetischt, hmmmm da schmatzen wir vor uns hin!

 

Als es dunkel war, machten wir uns auf zu einem nahe gelegenen Hügel. Dort wurde in Teamarbeit abermals ein Feuer entzündet und die Stimmung wurde bald sehr andächtig. Denn der 22.September gilt seit ein paar Jahren als „Tag der baltischen Einheit“. Dieser huldigt einer Schlacht, die am 22.September 1236 stattgefunden haben soll. Litauen und Lettland feiern heute, damals die deutschen Kreuzritter besiegt zu haben. So genau bin ich noch nicht eingetaucht in die litauische Geschichte, und verstanden hab ich auch nichts, als ein paar Leute litauische Geschichten erzählten. Aber das war in dieser gemütlichen Situation am Lagerfeuer auch ganz egal. Das lodernde Feuer ist mir ja Unterhaltung genug! Und abgerundet wurde der Abend dann sogar noch mit einer Gitarre und vielstimmigen litauischen Liedern.

 

Warme Sonnenstrahlen kitzelten uns auf der Nase als wir am nächsten Morgen das Zelt verließen. Dieses hatte uns in der Nacht doch wirklich gut trocken und warm gehalten. Da haben sich die 6€ ja jetzt schon ausgezahlt! Kaum hatte ich eine Banane zum Frühstück gegessen, herrschte plötzlich Aufbruchsstimmung. Doch so viele Zelte standen noch am Platz rum. Was war los? Verdutzt baten wir unsere Nachbarn um eine Übersetzung. Aaah, es gab einen Morgenspaziergang zu einem Fernsehturm. Also, nichts wie mit! Munter waren wir nach diesem Aufstieg allemal – Stiegen steigen, der kalte Wind im Gesicht und der wunderbare Ausblick hatten uns dreifach geweckt! Und so waren wir dann auch bestens gewappnet für den Heimweg mit dem Boot, zu Fuß und dem Bus. Was für ein eindrucksvolles Wochenende!