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SGMD - oder Generation Earth 2.0

 Jetzt erst fällt mir auf, dass ich noch nie von SGMD erzählt habe. Das wundert mich zwar, weil ich schon viel Zeit mit den Leuten von SGMD verbracht habe, aber ich kann das Berichten jetzt ja nachholen! Also, von vorne:

 

Es war einmal, an einem lauen Sommerabend vor etwa zwei Monaten, da wurde im Arkadenhof der großen, alten Universität ein Fest veranstaltet. Die Gäste kamen aus allen Ländern, von nah und fern, um den Reden und den Gesängen zu lauschen und in froher Runde das Tanzbein zu schwingen. Nebenbei preisten auch einige Hochschulgruppen ihre Ideen an. Und so geschah es, dass sich eine ausländische Studentin an einen Stand verirrte, der ziemlich natürlich aussah. In wahrsten Sinne des Wortes. Die Menschen waren grün gekleidet, die Fotos zeigten Menschen im Wald und am Tisch waren präparierte Pflanzen und Waldtierchen ausgestellt. Im Logo der Gruppe waren die Buchstaben SGMD zu erkennen: die Hochschulgruppe der Naturwissenschaft-Studierenden. Es folgte ein interessiertes Gespräch zwischen der verrückten, englischsprechenden Studentin und einer Studentin im grünen T-Shirt. Dann hinterließ erstere ihre Emailadresse und wurde zum wöchentlichen Treffen von SGMD eingeladen. Trennten sich die Wege der beiden Mädchen auch danach, so sollte dieser Zustand doch nur von kurzer Dauer sein.

 

Bald schon erhielt ich nämlich ein E-Mail. Es wirkte äußerst professionell, herzlich und einladend. In diesem Mail wurde ich gleich zu vier Veranstaltungen eingeladen: zu den wöchentlichen Gruppentreffen, zu einer Nachtwanderung in Vilnius, zur SGMD-Geburtstagsfeier am Lagerfeuer und zu einem Wochenende in Lettland. Wow, das beeindruckte mich sehr! Die Gruppe schien also äußerst aktiv und kunterbunt! Ich zögerte nicht lange und sagte für alle Veranstaltungen zu. Obwohl ich nicht wirklich wusste, wer und was mich erwartete, freute ich mich sehr, die Leute bald kennenzulernen.

 

Pünktlich begab ich mich zum Life Sciences Center der Vilnius University. Etwas verloren irrte ich in dem großen, schwach beleuchteten Glasgebäude umher. Wie sollte ich hier den vereinbarten Treffpunkt finden? Nachdem ich ein paar Gänge auf und ab gelaufen war, öffnete sich plötzlich eine Tür und ein schüchternes Gesicht schaute mich fragend an. „Mantas?“, fragte ich. „Monika!“, antwortete er. Bald trafen wir auch noch einige andere Leute und begaben uns gemeinsam zum berühmten Fernsehturm von Vilnius. Dort startete unsere Nachtwanderung durch die Wälder in der Innenstadt. Ja, richtig gelesen, die Wälder in der Innenstadt von Vilnius! Breitet man den Stadtplan vor sich aus, sieht man mittendrin, stadteinwärts des Neris gelegen, einen riesigen grünen Fleck. Das ist der Vingis Park. Und auf der anderen Seite des Neris ist das Grün ein dichter Mischwald, natürlich auch mit ein paar obligatorischen uralten Eichen. Kaum waren wir ein paar Minuten durch den Wald spaziert, hatte ich gar nicht mehr das Gefühl, die Leute grad erst kennengelernt zu haben. Wir teilten unsere Jause, tranken aus derselben Teetasse, spielten kurzweilige Wanderspielchen und staunten über das Grün in der Stadt. Dann meinte Adele, wir könnten uns doch in Paaren blind durch den Wald führen lassen. Also los, es war zwar eh schon dunkel, aber mit geschlossenen Augen zu gehen ist bekanntlich nochmal ein anderes Gefühl. Zu guter Letzt statteten wir der laaaaaangen Schaukel am Flussufer einen Besuch ab und veranstalteten einen Hoch-Schaukel-Wettbewerb. Als ich in den Bus einstieg, schwirrte eine Frage in meinem Kopf umher: Hab ich ernsthaft erst 3 Stunden meines Lebens mit diesen Leuten verbracht?

 

Schon am darauffolgenden Tag traf ich Mantas, Adele, Rasa, Tautvydas und ein paar andere Leute wieder. Denn wir feierten das 10-Jahres-Jubiläum von SGMD. Zu diesem Anlass gab es keine Geburtstagstorte, sondern frisch gekochten Bananen-Erdnuss-Couscous vom Lagerfeuer. Kaum hatten wir unsere Schüsseln geleert und es uns zufrieden auf unseren Sitzerln gemütlich gemacht, fragte Adele, ihr Gesicht vom Lagerfeuer angeleuchtet: „So, what is the purpose of life?“ Da war es plötzlich still, niemand wagte es, sich zu bewegen oder eine Antwort zu geben. Aber dann fing irgendjemand an, und dann noch jemand, und noch jemand, bis alle ihre philosophischen Gedanken preisgegeben hatten. Ich fühlte mich augenblicklich wohl in der Runde und erinnerte mich an viele schöne Lagerfeuermomente mit Generation Earth. Und abermals wunderte ich mich, dass ich die ganze Bande erst am Tag davor kennengelernt hatte.

 

Und dann stand auch schon das SGMD-Wochenende in Lettland am Programm. Gerade noch rechtzeitig hatte ich die Fragebögen für mein Forschungsprojekt über „Lithuanians and the forest“ ausgedruckt, und so konnte ich mit Juris, Mantas und Egle auf der Fahrt nach Riga schon die ersten Interviews führen. In Windeseile hatten wir uns bekannt gemacht und die Stimmung im Auto war augenblicklich super. Und als dann in Riga auch noch der fünfte Platz im kleinen Auto belegt und der große Rucksack über uns allen ausgebreitet wurde, war das aufgeweckte Road-Trip-Feeling vollkommen. Doch bald schon kamen wir an unserem Ziel an und wurden von den Wartenden herzlich empfangen. Im Kamin knisterte schon das Feuer, das Essen stand am Herd bereit und rund um den großen Tisch wurde fleißig gelacht. Hach, welch romantischer Seufz-Moment! Den Abend verbrachten wir mit Jonglieren, Spielen und Gesprächen und genossen dann unsere warmen Schlafsäcke.

 

Der Samstag begann mit einer Stunde Yoga. Egle hatte nämlich im Sommer eine Ausbildung zur Yoga-Lehrerin gemacht und ließ uns nun an ihrer Leidenschaft teilhaben. Die Yoga-Energie konnten wir an diesem Tag dann auch gut brauchen, da eine lange Wanderung durch den Sigulda Nationalpark anstand. Zufällig waren wir an einem Wochenende mit sagenhaftem Wetter nach Lettland gekommen, und der Herbstwald war außerordentlich schön: Dieser Herbst wurde nämlich als Goldener Herbst bezeichnet. Und weil wir ja genügend Biologen in der Gruppe hatten, blieben die Gründe dafür nicht ungeklärt. Ich hab mir zwar die wissenschaftliche Begründung mit allerlei chemischen Vorgängen nicht gemerkt, aber die Trivialerklärung ist diese: Normalerweise färben sich die Blätter der Bäume nacheinander bunt, so dass immer nur ein paar Bäume herbstlich bunt sind. Aber in diesem Herbst gab es kurz einmal Frost und da bekamen die Bäume einen Stress. So färbten alle gleichzeitig ihre Blätter gelb. Weil es dann wieder warm wurde, färbten sich die gelben Blätter rot. Und genau an diesem Wochenende, als die Bäume in ihrer tiefroten Pracht standen, waren wir dann im Wald unterwegs. Abgesehen von der wunderschönen Natur erfreuten wir uns auch an tiefsinnigen Gesprächen. Denn Adele hatte an uns alle geheime Fragen ausgeteilt, die wir im Laufe des Tages an unseren geheimen Partner stellen mussten, um die geheime Antwort zu erfahren. Und da niemand wusste, wer oder was zum Spiel gehörte oder nicht, entstanden witzige Situationen und auch sehr persönliche Gespräche. Am Abend lösten wir das Rätsel dann auf uns waren manchmal sehr erstaunt über die Gesprächspartner, Fragen und Antworten. Echt ein gelungenes Spielchen, das ich mir merken möchte! Und eine Situation möchte ich auch noch festhalten: Wir standen vor einer Höhle (ja, für lettische Verhältnisse war die 10m tiefe Einkerbung im niedrigen Fels wirklich eine Höhle!), als plötzlich jemand aus unserer Runde die Musik aufdrehte und wir inmitten der Touristen litauische Volkstänze tanzten. Zwar hatten unsere Bemühungen, auch fremde Menschen zum Tanzen zu motivieren, nicht so wirklich geklappt, aber wir hatten Spaß und freuten uns über die verdutzten Gesichter, die uns anstarrten. Doch warum sollten wir hier nicht tanzen dürfen?

 

Am Sonntag bekamen wir eine naturkundliche Führung durch den Gauja Nationalpark. Wir spazierten durch die Wälder, erkundeten Pilze an morschen Bäumen, lernten über die Unterschiede der Waldpflege in Lettland und Litauen, hörten eine ziemlich abstruse Geschichte über im Nationalpark gestellte Holzdiebe und statteten einer der höchsten Eichen Lettlands einen Besuch ab. Hin und wieder hatte ich kurze Aha-Momente, als ich merkte, dass unser lettischer Guide auf Englisch sprach – und ich ihn verstand. Denn scheinbar habe mich in den letzten Monaten schon so daran gewöhnt, nichts zu verstehen und deswegen auch nicht immer ganz zuzuhören, dass ich hier tatsächlich erstaunt war. Ein kleines Gespräch von dieser Tour blieb mir auch noch in Erinnerung. Als wir auf einer großen Lichtung angekommen waren, fragte mich Tadas nämlich, ob mir diese geführte Tour gefiel. Als ich kurz zögerte, da ich einen gewissen Hintergrund seiner Frage spürte, fügte er gleich hinzu: „Du studierst ja Geographie. Und die Geographen und Biologen sind so unterschiedlich. Wir haben schon öfter Exkursionen gemeinsam mit den Geographen gemacht, und die waren immer so gelangweilt von uns. Weil wenn Geographen eine Exkursion machen, dann schauen sie in die Ferne, gehen geradeaus und möglichst schnell. Sie wollen auf diese Weise viel sehen und entdecken. Aber wenn wir Biologen eine Exkursion machen, dann schauen wir in die nahe Umgebung, gehen im Zick-Zack und vor allem langsam. Wir wollen auf diese Weise viel sehen und entdecken.“ Ich hatte auf seine Ansprache nicht gleich eine Antwort parat, da ich mir noch nie Gedanken darüber gemacht hatte. Zwar hatte er ziemlich viel pauschalisiert und stereotypisiert, aber irgendwie konnte ich mich doch mit seiner Bemerkung anfreunden. Und ich musste kurz schmunzeln, denn als wir im Frühling auf Geo-Exkursion in Andalusien waren, waren wir eindeutig „typische Geographen“.

 

Zu guter Letzt bleibt es mir noch, ein paar Worte über meine Freunde von SGMD zu erwähnen. Es freut mich nämlich wirklich, dass ich es wiedermal geschafft habe, mit „original Litauern“ in Kontakt zu kommen und Freundschaften aufzubauen. Außerdem erinnert mich SGMD sehr an Generation Earth, die Gruppen haben eindeutig viele schöne Parallelen. Und ich bin echt gespannt, was wir noch gemeinsam erleben werden. Die Themenpalette von SGMD ist nämlich sehr breit und eigentlich kann jedes Mitglied selbst seine Interessen ausleben und Workshops, Veranstaltungen oder Exkursionen anregen. Gerade wurde eine Konferenz geplant, die Ende November stattfinden soll, und sich mit dem Wald in Litauen beschäftigt (weil derzeit ein großes Gebiet in einem uralten Wald gerodet wird und es da viele Gegenstimmen gibt). Heute Abend gibt es einen Upcycling-Workshop und wir werden gemeinsam Stofftaschen aus Stoffresten basteln. Was ich auch toll finde, sind die Kooperationen zwischen SGMD und Schulen. Bisher hab ich zwar nur davon erzählt bekommen, aber da laden die Lehrer ein paar von den Studenten ein, die dann Workshops in den Schulen anbieten. Und wie so oft funktioniert der Schneeballeffekt auch hier: Weil einige der SGMDler ziemlich tanzbegeistert sind, haben sie mich zum Volkstanzen eingeladen – und ich hab natürlich gleich zugesagt. Aber das wird eine neue Geschichte!