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Let's do it!

Zahlreiche Titel könnte ich diesem Blogbeitrag geben. Zahlreiche Phrasen könnten auf das spontane Wochenende in Warschau anspielen. Zahlreiche Insider-Witze würden nur Marie und ich verstehen. Aber ich musste mich für einen Titel entscheiden, und das Rennen gewann eindeutig der: Let’s do it!

 

Wir spulen das Rad der Zeit ein paar Wochen zurück. Es war kurz vor Halloween, Allerheiligen und Allerseelen und es stand daher von Donnerstag bis Sonntag ein langes Wochenende bevor. Ich hatte es lange Zeit hinausgezögert, das Wochenende zu planen und war davon ausgegangen, dass sich wohl noch was ergeben würde. Eines war mir allerdings klar: Ich wollte nicht 5 Tage im Zimmer hocken, sondern raus, in die Welt, in die Natur, irgendwohin. Das lange Wochenende rückte näher und näher und ich wusste immer noch nicht, was ich tun wollte, mit wem ich wohin fahren sollte. Ohne große Erwartungen schrieb ich Marie, ob wir uns denn spontan in Warschau treffen wollten. Und dann, am Dienstagabend, kam plötzlich ihre Antwort: Let’s do it!

 

Das lob ich mir mal! Da entscheiden wir am Dienstagabend, uns in Warschau zu treffen, und am Mittwochabend sitzen wir beide im Nachtbus. Marie von Wien, ich von Vilnius. Wir treffen uns also ziemlich genau auf halbem Weg. Und kommen zeitgleich am Morgen in Warschau an. Na das ist aber eine Freude!

 

Für uns beide war Warschau eine neue Stadt, die wir jetzt zum ersten Mal erkundeten. Wir hatten keine Ahnung, keine Erwartungen, und noch keinen Stadtplan. Kurz: Wir wussten nichts. Abgesehen von der Adresse einer Unterkunft, die Marie auf die Schnelle gebucht hatte. In dem privaten Hostel konnten wir zwar erst am Nachmittag die Betten beziehen, aber wir wollten doch gleich schon mal vorbeischauen, um das wenige Gepäck abzustellen und uns nach der Busfahrt ein kleines bisschen frisch zu machen. Unsere chinesische Vermieterin öffnete uns strahlend die Tür und obwohl wir nur die Rucksäcke abstellen wollten, bot sie uns gleich Tee und Obst an. Das tat gut nach der langen Busfahrt!

 

Beim Frühstückstisch saß dann auch ein anderer Gast aus den USA und in Windeseile waren wir in ein tiefsinniges Gespräch verwickelt. Hach, das war ein Spaß! Als der alltägliche Smalltalk abgehakt war, ging es nämlich los mit internationaler Politik, Kirche, Klimawandel, Stellung der Frau, Geschichte, Reisen, Flüchtlingen, politischer Bildung – also all die wunderbar kontroversen Themen, für die es keine ultimative Antwort gibt. Das Gespräch verflocht und verwickelte sich, ein roter Faden war kaum noch zu erkennen und unsere Ansichten gingen drastisch auseinander. Manchmal hätten wir uns die Haare raufen können und das kontinuierliche Dranbleiben, Mitdenken und Mitreden forderte einen enormen Energieaufwand von beiden Seiten. Wait – von beiden Seiten?? Aber wir waren doch zu dritt? Naja, da war eben das Dream-Team im Spiel! Marie und ich ergänzten uns großartig und hatten auf alle Anspielungen, Ansichten und, unserer Meinung nach, Falschinformationen wirksame Argumente. Die Diskussion weckte verschiedenste Reaktionen in uns; von Entsetzen, Wut und scheinbarer Machtlosigkeit bis hin zu dem bestätigenden Gefühl, unsere Argumente logisch aufbereitet und im Gegenüber einen Funken Verständnis entfacht zu haben. Noch lange blieb das Gespräch in unseren Köpfen, immer wieder reflektierten Marie und ich darüber und sponnen die Gedanken weiter. Und bis heute kreisen mir Bemerkungen wie “I am not interested in politics, I actually don’t care. But I think that Trump is really funny and he has great ideas for our country.” , “You say you consider yourself part of the church. So, could you please give me your interpretation of Sodom and Gomorrah? “ oder „I don’t believe in climate change. But, in case the sea levels are really rising, then you just sell your house on the seaside and move to the inner country.” im Kopf herum.

 

Jetzt aber zurück nach Warschau! Dort lebten wir absolut in den Tag hinein. Waren wir hungrig, aßen wir. Waren wir neugierig, erkundeten wir. Waren wir erschöpft, ruhten wir. So einfach geht das, wenn man sich ein Wochenende Zeit nimmt! Wir entdeckten überfüllte Touristen-Restaurants, machten eine spontane Foto-Session im herbstlichen Sächsischen Park, hörten der Militärkapelle vorm Grab des unbekannten Soldaten zu, genossen den Kakao vom Coffee-Bike, besuchten das Museum the History of Polish Jews, fuhren im Regen mit der Straßenbahn im Kreis, machten unglaublich viele Selfies, probierten geräucherten Grillkäse, trafen zufällig eine andere Erasmusstudentin aus Vilnius, lernten Gedichte auswendig, entschieden uns für das gleiche Hochzeitskleid im Schaufenster, lernten über die bewegte Geschichte der Stadt, gingen in ein klassisches Konzert, bekamen gebratene Nudeln mit Gemüse zum Frühstück, spielten Friseurin, strickten Socken, verirrten uns in der U-Bahn, bestaunten die Stadt und die Menschen aus der Vogelperspektive, machten Yoga und vereinbarten eine Yoga-Challenge, schrieben eine Gedicht-Postkarte, tranken Wein, philosophierten über Gott und die Welt und, das war das Wichtigste, genossen einfach das Zusammensein.

 

Welch ereignisreiches Wochenende! Danke, Marie, und lass uns auch beim nächsten Mal wieder sagen: Let’s do it! ;-)