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Fridays For Future Vilnius - how it all began...

Es war einmal vor langer, langer Zeit, da schrieb ich einen Blogbeitrag über Intensitätsvarietäten. Die einleitende, übertriebene Kurzfassung lautete: „Die Heimfahrt nach Österreich war die Transition von 0 auf 100, die Rückfahrt nach Litauen von 100 auf 0. Doch dann ging’s erst so richtig los!“ Und geendet habe ich mit dem Satz „Das erste Samenkorn für einen Climate Strike in Vilnius war also gesetzt!“ Hier kommt also endlich der von manchen schon lang ersehnte Beitrag darüber, WAS denn nun erst so richtig los ging. Komm mit auf die Reise!

Oh my God, that crazy Austrian!

Meine Krise, in der ich mich so fehl am Platz und nutzlos fühlte, war überwunden. Das Gespräch mit Adele über meinen Wunsch, auch in Litauen fürs Klima zu demonstrieren, hatte mich noch mehr motiviert und mich vor eine unüberwindbar scheinende Herausforderung gestellt. Diese Herausforderung wollte ich annehmen, ja, ich war bereit, meine Ideen in die Tat umzusetzen. Und so geschah es!

 

Mein Herz klopfte wie wild. Sollte ich meine verrückte Idee wirklich vor allen auf dem Tisch ausbreiten? Ja, ich soll, flüsterte eine leise Stimme. Also erhob ich am Ende der SGMD-Sitzung schüchtern meine Hand. Ob ich vor dem Heimgehen noch etwas sagen dürfte? Na klar, durfte ich, the stage was mine! Ich sprudelte meine Gedanken also heraus: Ich war in Wien bei der Demo dabei und weil in Vilnius bisher noch nix Vergleichbares geschieht, will ich in Vilnius Events fürs Klima starten, am besten am 15.März, weil da ist der Global Climate Strike for Future, dafür brauch ich litauische Leute, ich als Ausländerin kann sowas nicht allein durchziehen, es müssen auch keine Demos sein, aber IRGENDWAS ist auch schon besser als nix, wer dabei sein will, ist herzlich willkommen. Monika, vergiss nicht zu atmen! Ah ja, stimmt. Also: Wir treffen uns nächsten Montag, 11.Februar 2019, um 17:30 hier im SGMD-Raum und schauen mal, was passiert. Wer da ist, ist da.

 

 

Jetzt wussten alle von meiner verrückten Idee und hielten mich wahrscheinlich für noch verrückter als jemals zuvor. Oh my God, this crazy Austrian! Da ich aber wusste, dass im Wort „crazy“ sehr viel Zuneigung steckt, war mir diese Umschreibung ganz recht. Und außerdem: Es ist höchste Zeit, für ver-rückte Ideen und merk-würdige Momente! Davon gab es in den folgenden Wochen dann genug!

Ich brauch ein Team!

Mir war klar, dass wir bei 0 anfangen mussten. Eigentlich bei -10. Weil wer ist denn „wir“? Ja, gleich schon mal die erste Frage, wer soll am Montag beim ersten Treffen dabei sein? Wie viele Leute? Will ich ein kleines, aber effektives Mini-Team aufbauen, oder eine große, kreative Masse? Einige meiner Freunde von SGMD (Adele, Mantas, Oskaras, Viktorija, Tautvydas) hatten ja schon zugesagt, aber ich wollte mehr Diversität in die Gruppe bringen. Da waren noch Auste und Justina, die Organisatorinnen von Darom (World Clean-up Day) und von der Earth Hour. Und die Schülerin Julija, die beim ersten Earth Hour Treffen schon vom Global Climate Strike gesprochen hatte. Und Juozas und Indre, zwei vegane Litauer, die ich bei einem Event von Sustainable Vilnius kennengelernt hatte. Und Klara, eine deutsche Erasmusstudentin, die die Idee sofort grandios fand. Ich lud sie alle ein zu unserem ersten Treffen, und hatte schon im Voraus ein gutes Gefühl. Die Gruppe schien nicht zu groß und es waren Menschen mit so unterschiedlichen Erfahrungsschätzen und Talenten, doch mit einem gemeinsamen Ziel: eine lebenswerte Zukunft.

Vorbereitungen für’s erste Treffen

Die Idee war nun ausgesprochen, und in meinem Kopf wirbelten unzählige Fragen wild umher. Diese Fragen musste ich mir beantworten, noch vor dem ersten Treffen.

 

Was will ich beim ersten Treffen erreichen? Wie werden wir ein Team? Was will ich den Leuten mitgeben? Warum treffen wir uns? Wie werden Klimademos in anderen Ländern organisiert? Wen kann ich um Rat fragen? Welche Energizers passen zum Team? Wie kann ich Greta Thunberg, Fridays For Future und überhaupt die Idee, fürs Klima auf die Straße zu gehen, am besten vorstellen? Wie kann ich auf die Bedürfnisse meiner Teammitglieder eingehen? Wie auf deren Befürchtungen reagieren? Welche Art von Event wollen wir organisieren? Wie wollen wir im Team kommunizieren? Wie schaffe ich es, mein Team zu begeistern und zu inspirieren? Was muss geschehen, damit die Begeisterung für unser Ziel über lange Zeit erhalten bleibt und ich nicht zum bettelnden Clown werde? Was ist meine Rolle im Team?

 

 

Ich liste hier nicht alle Antworten auf. Die gibt’s nämlich zum Nachlesen in unserem Protokoll. Einen mir sehr wichtigen Punkt möchte ich aber hervorheben, weil ich äußerst viel im Prozess gelernt habe und meine Strategie wunderbar aufging: Anstatt sofort mitten rein ins Organisieren zu tauchen, widmete ich das erste Treffen ganz der Frage „Wie werden wir ein effektives Team?“  

Unser erstes Treffen

Einige der zum ersten Infotreffen Eingeladenen kannten sich schon, manche hatten voneinander gehört, andere waren sich völlig fremd. Einige waren erfahrende Umweltengagierte, manche motiviert, endlich was zu tun. Manche waren von der Idee, fürs Klima zu demonstrieren begeistert, andere hatten große Bedenken. Kurzum, wir waren ein buntgemischter Haufen. Aus diesem Haufen ein Team zu basteln, welches ein gemeinsames Ziel verfolgt, sah ich nun also als meine Aufgabe.

 

Drum nutzten wir das erste Treffen ganz zum Kennenlernen. Zum Kennenlernen der Menschen und zum Kennenlernen des Themas. Zuerst mussten wir mal Vertrauen aufbauen in der Gruppe und das geht mit Energizern und Spielchen bekanntlich immer gut. Ich stellte außerdem von Vorneherein klar, dass wir keine Hierarchie haben und ich nicht als Leiterin, sondern als Koordinatorin in der Gruppe fungiere. Dann überlegten wir gemeinsam, WARUM und WOFÜR wir uns engagieren wollen. Wir hatten eine interessante Diskussion über den Klimawandel und dessen Auswirkungen auf Litauen. Zu meiner großen Überraschung fanden wir in der Gruppe aufs Erste nämlich kaum negative Auswirkungen der Erderwärmung auf Litauen. Also ein Punkt fürs Protokoll: Wissenschaftliche Fakten für Litauen erforschen! Nachdem wir uns des Warums und Wofürs bewusst geworden waren, ging es ans WAS. Ich stellte Greta Thunberg und Fridays For Future vor und zeigte einige Fotos von der Demo in Wien. Auch klärten wir den Unterschied zwischen einem Streik und einer Demonstration.

 

Dann kam ein essentieller Teil des Treffens, meiner Meinung nach ein entscheidender Erfolgsfaktor unseres Teams: Wir sprachen offen über die Befürchtungen und Bedürfnisse der Gruppenmitglieder. Wird die litauische Bevölkerung die Notwendigkeit, zu handeln, akzeptieren? Ist ein Streik eine sinnvolle Art, Bewusstsein zu schaffen? Können wir bei Problemen verklagt werden? Sind wir fähig, eine öffentliche Veranstaltung zu organisieren? Haben wir die Zeit, uns in noch einer zusätzlichen Gruppe zu engagieren? Werden Menschen zu unserer Veranstaltung kommen? Haben wir genug Wissen über den Klimawandel und somit die Legitimation, auf die Straße zu gehen? Werde ich als ausländische Organisatorin akzeptiert werden? Wir sprachen also ausführlich über unsere Bedenken  und fühlten uns danach sehr beruhigt und bestärkt. Und so lautete die erste Entscheidung des Teams: Ja, wir wollen die Herausforderung gemeinsam angehen. Wir wissen zwar noch nicht genau was und wie, aber ja, wir wollen am 15.März was tun. Mir fiel ein Stein vom Herzen – they are in! Jetzt gibt’s kein Zurück mehr, wir starten durch! 

Der Weg von „Ja, wir wollen was tun!“ zu „Kartu už klimatą!“

Die Entscheidung, am 15.März etwas zu tun, trafen wir am 11.Februar. Wir hatten also ein Monat Zeit, und viel zu tun. Die ersten wichtigen Fragen waren sodann das WARUM, das WAS und das WIE. Nachdem wir beim ersten Treffen in Bezug auf die Auswirkungen der Erderwärmung auf Litauen fast ratlos waren, meldete sich Oskaras beim zweiten Treffen eine Woche später zu Wort. Ich war erstaunt – bisher hatte ich kaum ein Wort von ihm gehört, hatte ihn kaum wahrgenommen, ihm wenig zugetraut. Doch jetzt zog er seinen USB-Stick aus der Tasche und hielt einen halbstündigen Vortrag über den Klimawandel global und in Litauen. Er hatte eine Präsentation vorbereitet, Artikel gelesen, Graphiken gesucht, sein Wissen mit uns geteilt, uns das WARUM vor Augen geführt und die Gruppe abermals überzeugt: Wir müssen was tun!

 

Wie am Schnürchen verlief unser zweites Treffen. Es dauerte nicht lange, bis wir das WAS festgelegt hatten: Eine Demonstration am 15.März von 12 bis 17 Uhr am Vincas-Kudirka-Platz. Schnellstmöglich mussten wir unsere Veranstaltung bei der Stadtverwaltung anmelden. „Lass es uns doch sofort machen!“, meinte Viktorija und schon hatte sie meinen Laptop unter den Fingern und das Dokument geöffnet. Erstes Feld, das ausgefüllt werden musste: Eine hauptverantwortliche Person. Schweigen im Raum. Kopfkino an. Welche Verantwortung hat man denn als Hauptverantwortliche/r? Muss ich bezahlen, wenn eine an der Veranstaltung teilnehmende Person Blödsinn anstellt? Muss ich mit der Polizei reden? Muss ich eine Rede halten? Und warum brauchen die dann meine Telefonnummer? Ganz genau konnte ich die Rolle der Hauptperson nicht erklären, aber aus Gesprächen mit anderen Demoorganisatoren hatte ich erfahren, dass es wohl eher um eine Kontaktperson geht, eine Zwischenperson zwischen Stadtverwaltung, Polizei und Organisationsteam. Aha, also nicht ganz so schrecklich. Aber wie auch immer, ICH kann diese Person nicht sein, nein, wir brauchen eine/n Litauer/in. Nach einer weiteren Schweigeminute meldete sich Oskaras: „Okay, schreib meinen Namen hin!“ Mein Erstaunen wandelte sich in Bewunderung. Wie angegossen passt der Satz auf ihn: Stille Wasser sind tief.

 

Ein Name für unser Team und für unsere Veranstaltung waren bald gefunden: Wir einigten uns auf „Fridays For Future Vilnius“ und unsere Demonstration sollte „Kartu už klimatą“ [Gemeinsam für’s Klima] heißen. Sodann erstellten wir unsere Facebook-Seite und, nachdem wir die Berechtigung für die Demo bekommen hatten, unseren Facebook-Event. Im Nachhinein klingt das so locker und unkompliziert, aber dahinter steckt ziemlich viel Denkarbeit. Schließlich mussten wir erklären, wer wir sind, warum wir handeln, was wir tun, was wir fordern, und wie andere Menschen involviert werden können. Die Seite zu veröffentlichen, war ein emotionaler Moment: Jetzt waren wir offiziell Teil der Bewegung Fridays For Future, offizielle Veranstalter der Demonstration am 15.März, offizielle Kontaktpersonen für Interessierte, offiziell Fridays For Future Vilnius.

 

 

Im Laufe der nächsten Wochen entwickelte sich alles wunderbar. Wir wuchsen als Team (zum Beispiel mit der super motivierten, deutschen Medizinstudentin Ellen) und die Veranstaltung nahm Formen an. Manchmal ging es etwas chaotisch zu, aber irgendwie klappte immer alles. Jemand hatte Kontakte zu einer Trommelgruppe, jemand kreierte wunderbare Grafiken, jemand backte Kekse für unser Treffen, jemand besorgte Farben und Karton für die Poster, jemand kontaktierte die Medien, jemand fand eine Location für unsere After-Demo-Party, jemand erstellte Facebook-Posts, jemand brachte eine Kamera, jemand las die rechtlichen Bedingungen für eine Demo, jemand beantwortete haufenweise Fragen auf unserer Facebookseite, jemand lud Freunde ein. Ich war dauerhaft begeistert von unserem tollen Team. Und ja, was war und ist nun meine Rolle? Ich sehe mich als Inspiratorin und Koordinatorin auf Augenhöhe. Es ist mir ganz wichtig, auf gleicher Ebene mit allen anderen wahrgenommen zu werden. Gewissermaßen leite ich unser Team von innen, bereite unsere Treffen vor und moderiere sie, schreibe die Protokolle, erinnere die Teammitglieder an ihre Aufgaben und bestärke sie darin. Außerdem sorge ich mit regelmäßigen Spielchen, aufmunternden Worten, freudigem Optimismus und authentischer Dankbarkeit für eine angenehme Atmosphäre in der Gruppe. Unser Motto hat Programm: Kartu už klimatą – gemeinsam für’s Klima!